Gesund und gut Gitarre spielen

Daniel Eyer, Februar 2020 

Ich liebe es, Gitarre zu spielen. Seit meiner Kindheit jagen meine Finger über die Saiten. Doch leider habe ich nun grosse Rückenschmerzen, manchmal so stark, dass ich kaum gehen oder aufrecht stehen kann. Mein Rücken ist sehr labil, eine falsche Bewegung und er blockiert. Diese Rückenschmerzen haben auch grossen Einfluss auf meine Konzentration, meine Kondition, die Beweglichkeit meiner Hände und mein psychisches Befinden. Deshalb habe ich angefangen mit der Physiotherapeutin Melita Gole Kordiš zusammen zu arbeiten.  

Was haben diese Probleme mit der Gitarre zu tun? Schon die Studien von Fishbein et al. (Medical problems among ISCOM musicians, 1988) und von Hildebrandt et al. (Gesundheit und Prävention bei Studienanfängern an der Musikhochschule Winterthur Zürich 2000/2001) haben gezeigt, dass Musiker vermehrt unter Rücken, Schulter und Nackenproblemen leiden. Melita Gole Kordiš hat durch ihre langjährige Erfahrung als Physiotherapeutin dieselben Schlüsse gezogen. So ist das Gitarre spielen der Auslöser für meine Rückenprobleme und Schmerzen. Unser Körper ist im Gleichgewicht. Sobald wir eine Gitarre in die Hand nehmen entsteht eine einseitige Belastung. Dies führt dazu, dass sich die Muskeln einseitig verkürzen. Da die Muskeln über die Sehnen an die Knochen gebunden sind, können diese die Position und Form der Knochen beeinflussen. Wenn ein Kind wächst sind seine Knochenstrukturen und Muskeln sehr empfindlich für äussere Einflüsse. Deshalb entstehen grosse Haltungsfehler und Deformationen während Phasen intensiven Wachstums. Das Kind wächst mit dem Instrument zusammen und passt sich an dieses an wie ein Baum, der sich um Hindernisse wickelt. 

In diesen zwei Röntgenbildern kann man klar eine Verschiebung und Verdrehung der Wirbelsäule und die verschobene Position des linken Schlüsselbeins erkennen.

Für die Asymmetrie beim Gitarrenspiel sind vor allem die Sitzhöhe, die Position und die Grösse der Gitarre verantwortlich. 

Ursachen - Wirkungen 

  • Wenn wir mit einer Fussbank spielen, verkürzen sich die Muskeln, die die Hüfte beugen (m. Iliopsas) und die vordere Oberschenkelmuskulatur (m. Rectus femoris). Die Hüftbeuger (m. psoas maior) enden an der Lendenwirbelsäule und ziehen durch ihre Verkürzung diese Wirbel aus ihrem Gleichgewicht. Das Becken kippt auf die rechte Seite. 

  • Oft sitzen Gitarristen zu tief (da sonst die Gitarre wegrutscht), weshalb sich das Becken nach hinten neigt. 

  • Dadurch, dass wir auf die linke Hand schauen, drehen wir die Schultern nach links und es entsteht eine Verdrehung innerhalb der Wirbelsäule.  

  • Die linke Hand/Schulter ist wegen der Spielposition höher als die Rechte. Dies hat Auswirkungen auf die Position des linken Schlüsselbeins.  

  • Oft wird der Kopf nach vorne geschoben und nach links gedreht. Dies führt zu einem Ungleichgewicht in der Nackenmuskulatur. 

 

Auf diesem Bild haben wir durch Pfeile verschiedene Problembereiche beim Gitarrespielen markiert.

Um zu verstehen, wie man mit einer Gitarre gut sitzen kann, werden wir zuerst die optimale Sitzposition ohne Instrument erklären. Es ist natürlich klar, dass der menschliche Körper nicht fürs Sitzen konstruiert ist, die gezeigte Haltung soll einen optimalen Kompromiss zeigen. 

Beide Füsse stehen eben auf dem Boden. Die Knie sind über den Fersen. Die ideale Sitzhöhe wird erreicht, wenn zwischen dem Körper und den Oberschenkel ein Winkel von 95 – 105 ° entsteht. Die Knie sind also ein wenig unterhalb des Beckens.  

Beim richtigen Sitzen bemühen wir uns, die natürlichen Krümmungen (Doppel-S) der Wirbelsäule zu erhalten. So sollte die Taille ca. einen Fingerbreit und der Nacken ca. eine Handbreit von einem eingebildeten geraden Hintergrund entfernt sein. Der Kopf schwebt wie an einem Faden aufgehängt über dem Körper. 

Sobald wir nun eine Gitarre in die Hand nehmen können wir wegen der Form des Instruments und der verschiedenen Aufgaben der Hände nicht mehr ideal sitzen. Wir brauchen deshalb einen neuen Kompromiss. 

Die Sitzhöhe kann von der idealen Sitzposition übernommen werden. Es lohnt sich aber kleine Hafttücher (z.B. aus Moosgummi) unter die Gitarre zu legen, so dass diese nicht wegrutscht. Wir versuchen ausserdem, dass die Beine gleichmässig gespreizt werden, damit kein Ungleichgewicht im Becken entsteht. Da unsere Schüler sehr schnell wachsen, muss die Sitzhöhe immer wieder angepasst werden. In der Schule eignet sich am Besten ein Klavierstuhl, zu Hause kann ein Bürostuhl oder ein Tripp Trapp Stuhl von Stokke helfen.  

Die Grösse der Gitarre beeinflusst nicht nur die Spielleistung der linken Hand, sondern hat auch grossen Einfluss auf die Schulterhaltung und Beinstellung. Ein zu grosser Gitarrenkorpus kippt die Schultern von rechts nach links, die Schüler müssen die linke Hand weit ausserhalb des Körperzentrums tragen und die zu grosse Korpus-Breite führt dazu, dass die Handgelenke beim Spielen geknickt werden. Die EGTA Deutschland hat einen ausgezeichneten Ratgeber zur richtigen Gitarrengrösse veröffentlicht. (http://www.egta-d.de/page/gitarrenkauf.html) Grob kann man sagen, dass normale Gitarren ab einer Körpergrösse von 170 cm geeignet sind. Zwischen 155 cm und 170 cm sollte eine 3/4 Gitarre ausgewählt werden und für die kleineren Schüler sind sollte eine 1/2 Gitarre in Betracht gezogen werden. Man kann auch die Armlänge als Indikator für die Gitarrengrösse verwenden. Ekard Lind schreibt, dass der Gitarrenhals so lang sein sollte wie der Unterarm (Vom Ellbogen bis zum Handgelenkansatz) des Spielers. 

Um die Gitarre in einer idealen Spielposition zu halten gibt es viele Hilfsmittel (Fussschemel, Ergo Play, Gitano Stütze, GR2…). Beim richtigen Sitzen bemühen wir uns, dass der Körper möglichst symmetrisch bleibt. So sollten die Schultern parallel zu den Hüften, Knien, Füssen und dem Boden sein. Das Gitarrengriffbrett sollte bei einer idealen Haltung ebenso parallel zu den Schultern sein, oder links ein wenig weiter vorne sein als rechts. Der Hals sollte so schräg nach oben zeigen, dass sich die linke Hand nicht zu weit aus der Körpermitte verschiebt und nicht zu hoch gehalten werden muss. Die Mitte der Gitarre (12.Bund, nicht das Schallloch) sollte auch in der Mitte des Körpers ein.  

Die ideale Gitarrenstütze gibt dem Spieler ein Gefühl von Sicherheit und Stabilität. Die Anforderungen an eine Gitarrenstütze sind hoch. Nach meiner Erfahrung werden sie am besten von Guitarlift (entwickelt von Felix Justen) erfüllt. Das System ist einfach an der Gitarre anzubringen und flexibel. Die Gitarrenstütze wird in verschiedenen Grössen verkauft und kann frei auf dem Gitarrenrücken platziert werden. 

 

Dieses Bild zeigt die Sitzposition mit Fussschemel, die natürliche Sitzposition ohne Gitarre und eine Sitzposition, die sich an diesem Artikel orientiert. 

 Übungen danach 

Auch wenn wir eine ideale Sitzposition mit der Gitarre erreichen, ist diese doch nur ein Kompromiss und unser Körper immer noch im Ungleichgewicht. Darum ist es wichtig, nach dem Üben mit der Gitarre durch Gegenbewegungen (siehe Gitarrengymnastik) dieses Ungleichgewicht auszugleichen. Hier ist es ähnlich wie mit dem Zahnarzt und der Zahnbürste. Tägliche Übungen helfen dabei, dass es nicht zu Verspannungen und Haltungsschäden kommt, die einen Arztbesuch erfordern. Diese Übungen können als eine Art Ritual ausgeführt werden, das einerseits dem Körper hilft und andererseits unserem Gehirn ein Zeichen gibt, dass das Gitarrenüben für heute abgeschlossen ist und man nun an andere Sachen denken kann.  

Neben der richtigen Sitzhaltung ist beim Gitarrenspiel natürlich auch die Handhaltung und die Bewegung/Position der Finger entscheidend für ein gesundes Spielerlebnis. Diese sollen aber Thema eines anderen Artikels sein. Die Sitzposition ist wie der Stamm und die Wurzeln eines Baumes das Fundament für gutes und gesundes Gitarrenspielen. 

Natürlich gibt es anatomische Unterschiede zwischen den einzelnen Gitarristen, die man beachten muss. In jedem Fall ist die korrekte Haltung ein Kompromiss zwischen einer möglichst gesunden Haltung und dem möglichst entspannten Musizieren. Die Gitarre sollte wie ein Teil des Körpers werden, ohne aber Verspannungen und Schmerzen auszulösen. Jeder sollte auf seinen Körper und dessen Signale hören. Deshalb: Wenn etwas schmerzt, sofort aufhören, entspannen und dehnen. Wichtig ist, dass eine gute Haltung alleine nicht genügt. Die ausgleichenden Übungen helfen dem Körper, wieder in sein Gleichgewicht zurück zu finden. 

Während des Unterrichts sind wir Lehrer die einzigen, die wissen, wie wichtig eine korrekte Haltung und ausgleichende Übungen sind. Es ist unsere Aufgabe und Verantwortung dieses Wissen auch an unsere Schüler und deren Eltern weiterzugeben und dafür zu sorgen, dass sie möglichst lange und gesund Gitarre spielen können. 

 

Melita Gole Kordiš ist ausgebildete Physio- und Cyriaxtherapeutin, führt eine eigene Praxis in Slowenien und beschäftigt sich vor allem mit der Korrektur von Haltungsschäden. 
Daniel Eyer studierte klassische Gitarre in Zürich und unterrichtet in Slowenien. Er ist der Präsident der slowenischen EGTA. 

Literatur 
Hildebrandt H. (2002) Musikstudium und Gesundheit. Aufbau und Wirksamkeit eines präventiven Lehrangebotes. 2. Auflage 2004. Nachdruck der 2. Auflage 2015. Peter Lang, Bern
Sušnik J. Ergonomska fiziologija. Ljubljana: Didakta; 2000. 
Calais-Germain B. Anatomy of Movement. Eastland Press; 2007
Hochschild J. Funcional Anatomy for Physical Therapist. Thieme; 2015
Offermann T. Moderne Gitarrentechnik. Integrative Bewegungslehre für Gitarristen. Mainz: Schott Music; 2015 

 

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