Tilmann Hoppstock im Interview

 Von Michael Boner und Judith Bunk, 2023

Das Unterrichten als Favorit 

Als Solist, Kammermusiker und Pädagoge ist Tilmann Hoppstock seit über drei Jahrzehnten eine viel beachtete Persönlichkeit in der klassischen Gitarrenszene. Er ist Professor an der Akademie für Tonkunst in Darmstadt, Musikwissenschaftler, bekannter Arrangeur und Verleger mit eigenem Musikverlag, hat zahlreiche bekannte Tonaufnahmen produziert und ist Initiator der Darmstädter Gitarrentage, des Deutschen Gitarrenpreises und des 1st European Bach Guitar Award. 

 

EGTA: Lieber Tilmann, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst für ein Interview mit der EGTA. Deine Notenausgaben sind bei unseren LehrerkollegInnen und Mitgliedern sehr beliebt, wir freuen uns mehr über dich und deine Arbeit zu erfahren. Wie hast du in deiner Kindheit Musik wahrgenommen und welchen Stellenwert hatte sie für dich? 

Tilmann: Meine Eltern waren ja beide Pianisten, das heisst klassische Musik habe ich einfach schon früh mitbekommen, aber nicht im intellektuellen Sinn, sondern es war ganz normal das oft bei uns zuhause zu hören. Musiker gingen ein und aus, Kammermusikproben, Klaviertrio, Klavierquartett … das war ganz normal. Mein klassischer Bezug war zunächst das Cello, welches ich bis heute spiele – wenngleich nicht mehr so häufig wie früher. Zur Gitarre kam ich erst, als ich auf einem Jahrmarkt eine Gitarre entdeckt hatte und diese unbedingt haben wollte. Ich bekam sie, brachte mir selbst die Griffe bei und spielte vor allem Beatles-Songs und Volkslieder nach. Meine Klassenlehrerin begleitete uns Schüler, wenn wir sangen mit der Gitarre und eines Tages durfte ich selbst mitspielen. So lernte ich bis zum 10. Lebensjahr Gitarre also mehr autodidaktisch. Mein Vater engagierte als Direktor der Akademie, die ich besuchte, extra einen klassischen Gitarrenlehrer und ich hatte das grosse Glück, einen sehr guten Lehrer zu bekommen, der selbst klassische Gitarre studierte. Letztlich war ich ein braver Gitarrenschüler – anders als auf dem Cello. (lacht) 

 

EGTA: Wie hast du die Wandlung von Künstlerkarriere zur Lehrerkarriere erlebt?  

Tilmann: Im Alter von 14 Jahren war für mich bereits klar, dass ich Musik studieren wollte. Mit 16 Jahren, nachdem ich bereits selbst zwei Jahre lang Unterricht gab, ging ich von der Schule ab mit dem festen Ziel Musikschullehrer zu werden und beendete mein Studium im Alter von 20 Jahren. Meine Intention war es immer Lehrer zu werden. Eine Solistenkarriere hat sich anfangs gar nicht abgezeichnet. Das kam erst als ich etwa 18 Jahre alt war, da mutierte das so. Auf dem Höhepunkt spielte ich mit Anfang 20 um die 100 Konzerte jährlich. Das war jedoch gar nicht mein primärer Plan. Insofern hatte das Unterrichten von Anfang an einen grossen Stellenwert für mich und hat diesen bis heute. 

 EGTA: Was reizt dich am Meisten am Beruf des Lehrers? 

Tilmann: Beim Unterrichten findet man sich auch selbst irgendwo. Wenn ich ganz ehrlich bin, hat es auch was mit Selbstverwirklichung zu tun, da man etwas von sich weitergibt und sich selbst in dem Studierenden wiedersieht. Die meisten Lehrpersonen würden das vielleicht nicht so zugeben. Meine Intention ist natürlich nicht, dass sie so spielen wie ich.  Meine Klasse ist, glaube ich, sehr divers mit vielen verschiedenen Persönlichkeiten und trotzdem finde ich etwas von mir in ihnen wieder. Und es ist wirklich auch kein Klischee: Unterrichten ist ein permanenter Lernprozess für den Lehrenden. Viel mehr als beim Spielen, ist beim Unterrichten Vieles, trotz Routine, Veränderung. Das merke ich bis heute, auch bei Meisterkursen, ich bin viel entspannter als früher. Ich war vor 20 Jahren viel fester und dogmatischer und das ändert sich. Die Veränderung hört nicht auf. Dies liegt natürlich auch daran, dass sich die jüngere Generation verändert, die Eltern sind anders als vor 20 Jahren und so auch deren Kinder.  

 

EGTA: Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Eigenschaften einer Instrumentallehrperson? 

Tilmann: Zunächst ist es wichtig bei Unterrichtsbeginn jede Schülerin und jeden Schüler zu scannen. Auch wenn es vielleicht schwierig ist, sich zurückzuhalten mit dem, was man alles sagen könnte, muss man sich fragen: Was ist jetzt das Wichtigste für diese Person. Auch WIE ich etwas sage, ist entscheidend. Die Lernenden sollen nicht einfach bloss übernehmen, sondern offen sein für das Gesagte, es annehmen und schliesslich darüber reflektieren. Zudem halte ich Respekt und Geduld für sehr wichtig: alle SchülerInnen haben das gleiche Recht etwas zu lernen, und zwar in dem Tempo, wie es ihnen möglich ist: ob sie schnell und gut lernen oder nicht lernen, spielt dabei keine Rolle. Auch unter den Studierenden ist mir der gegenseitige Respekt und das einander Helfen sehr wichtig, es fördert eine gute Atmosphäre in der Klasse. Das funktioniert und liegt aber auch daran, dass GitarristInnen eigentlich ganz nette und coole Typen sind und mit diejenige Musikergruppe, die ich am sympathischsten finde. (lacht) 

 

EGTA: Du hast auch Transkriptionen für Kinder gemacht, wie z.B. die Serie «Grosse Komponisten für kleine Gitarristen», die vor rund 20 Jahren veröffentlicht wurde. Was hat dich dazu animiert? 

Tilmann: Eine Grundüberzeugung von mir war und ist es, dass es im Prinzip nichts Besseres gibt, als wenn Kinder die ganz berühmten Stücke für Gitarre mit Klavier und/oder Orchester schon früh kennenlernen. Als ich Kind war, gab es so etwas noch nicht. Ich habe mich also gefragt: Was würden die Kinder gerne hören und spielen? Dass es dabei im Arrangement eine Reduktion der Originale bedarf, ist klar. Aber in meiner Erfahrung stört  die Reduktion die Kinder nicht, sie freuen sich schon ein bekanntes Stück so spielen zu können, dass man es wiedererkennt. Direkt nach der Veröffentlichung wurde dieses Reduzieren der Originale auch von einigen Lehrpersonen kritisiert – auf lange Sicht zeigen mir die Rückmeldungen vieler Musiklehrpersonen  jedoch, dass diese Herangehensweise bei vielen Kindern aller Generationen doch gut funktioniert.  

 

EGTA: Was waren denn die konkreten Herausforderungen dabei? 

Tilmann: Es ist in der Tat schwierig Werke für Kinder zu arrangieren. Zunächst braucht man sehr viel Phantasie und man muss sich hineinversetzen in kleine Kinder, die noch über keine derart beweglichen Finger verfügen und deren Hirnleistung noch nicht der eines Erwachsenen entspricht. Schliesslich ist es das Weglassen, was eine Herausforderung ist: einfach zu schreiben, viel Klang mit wenig Material zu erzeugen in dem Bewusstsein, dass leider nicht das Optimale möglich ist, sondern dass die Essenz im Vordergrund steht. Zudem ist es wichtig, dass die Schülerstimme eine relevante Funktion im Arrangement hat, die Kinder sind nämlich schlau genug, um zu merken wenn sie nur nebenher spielen. 

 

EGTA: Wie blickst du auf die Musikvermittlung von alter und klassischer Musik an Kinder und Jugendliche? 

Tilmann: Ich glaube, das Allerwichtigste sind die Eltern und deren Einbindung, wenn es deren eigene Bildung und Interesse möglich machen. Beispielsweise ist es immer toll, wenn Eltern bereits mit ihren jungen Kindern auch nur anteilig die Konzerte der MusikschullehrerInnen ihres Nachwuchses besuchen und sie auch im Vorfeld darauf vorbereiten. Es ist in Deutschland ein Problem, dass viele Eltern zu klassischer Musik keinen Zugang mehr besitzen. Die Kinder sollen möglichst unterhalten werden, auch im Grunde nicht zu sehr überordert werden, sie sollen Spass haben und das macht es manchmal etwas schwieriger. Ich gehe mal davon aus, dass es in der Schweiz ähnlich sein wird. 

 

EGTA: Siehst du eine Veränderung durch die zunehmende Digitalisierung unserer Gesellschaft? 

Tilmann: Ja, das stelle ich sogar bei mir selbst fest. Zwar bin ich noch von der Schallplatte geprägt, aber ich bin auch ein ‚Kurzhörer‘ geworden, was bei der jüngeren Generation noch viel mehr dominiert. So scheint heute ein schnelles Rumzappen und -hören und ein Erkennen von Stücken stark verbreitet zu sein, dass im Grunde kein Kennen ist, weil man sie gar nicht ganz hört. Und das Visuelle spielt heutzutage eine viel grössere Rolle: man will heute den oder die MusikerIn sehen, was früher unerheblich war, da man sie nur hörte. 

 

EGTA: Wie beurteilst du diese Veränderung? 

Tilmann: Eine Weltuntergangsstimmung ist unangebracht, die Ver-änderungen sind ambivalent: Grundsätzlich bekommt man in heutiger Zeit viel schneller Informationen, an die man früher kaum oder nur mit sehr grossem Aufwand gelangte. Die entscheidende Frage ist: Was lernen SchülerInnen mit Informationen, die sie bekommen und wie gehen sie damit um. Natürlich leben wir in einer anderen Zeit als noch vor einigen Jahrzehnten, aber ich denke, dass ich doch anders gehört habe als es die jüngere Generation in Zeiten von YouTube heute tut. Ein Beispiel hierfür ist, dass man heute öfters nach einem verpassten Konzert zu hören bekommt, dass es doch bestimmt aufgenommen worden sei und wo man es denn zu sehen bekäme. Vor Corona wäre dies undenkbar gewesen. 

 

EGTA: Wir danken dir für das interessante Gespräch und die Gedanken, die du mit uns geteilt hast. Es war spannend und inspirierend dir zuzuhören. Wir wünschen dir alles Gute für die Zukunft! 

 

www.prim-verlag.de              

www.t-hoppstock.de  

 

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