Die älteste Gitarre von einem Schweizer Gitarrenbauer?
Von Andreas Schlegel
Es war eine riesige Überraschung, als ich im Oktober 2016 in Cremona im Restaurationsatelier von Bob Van de Kerckhove einen kalligraphisch geschriebenen Zettel „Nicolas Buttiker // Luthier à Soleure. // 1817“ entdeckte! Bob hatte den sehr frisch wirkenden Büttiker-Zettel sorgsam von einem Gitarrenboden abgelöst – und daneben lag ein zweiter, deutlich verschmutzerer Zettel: „Nicolas Nicco // Luthier à Lyon // 1817“. Die Schrift ist flüchtiger und der Schmutz rührt daher, dass dieser Zettel über den Büttiker-Zettel geklebt war. Eine Gitarre mit zwei übereinander geklebten Zetteln also. Was bedeutet dies? Bei überklebten Zetteln handelt es sich häufig um verkaufsfördernde Fakes. Besonders italienische Namen sind beliebt. Der Fälscher musste kein Fachwissen haben, um das Alter des Instrumentes für den Zettel festzulegen, er übernahm einfach das Jahr des echten Zettels. Für den Händler, der zeitnah einen eigenen Werkstattzettel in ein fremdes Instrument klebt, ist der Zeitraum der Entstehung ebenfalls vorgegeben und wird logischerweise nicht geändert. Am Baujahr 1817, bei der hier vorliegenden Gitarre, besteht somit keinerlei Zweifel.
Aber wer ist Büttiker? Die Archiv-Forschung rund um Solothurn (der Herkunftsregion des Geschlechts der Büttiker) hat bisher zu keinem Resultat geführt – aber es bleiben noch viele Kirchenbücher mit Tauf- und Sterberodeln abzusuchen und da könnte noch etwas zum Vorschein kommen. Was die Einordnung des Instruments in eine Bautradition angeht, sind wir in einer noch schwierigeren Situation, weil mindestens mir und meinen Freunden aus der Gitarrenforschung keine weitere Gitarre bekannt ist, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Schweiz gebaut wurde. Somit besteht keine Möglichkeit, die vorliegende Gitarre mit anderen Instrumenten zu vergleichen. Wer ein Instrument aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besitzt, das in der Schweiz gebaut wurde, wird freundlich gebeten, mit mir Kontakt aufzunehmen.
Hinweise auf weitere Schweizer Instrumente der Zeit:
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Andreas Schlegel, Eckstr. 6, 5737 Menziken
Dass in der Schweiz um diese Zeit Gitarre gespielt wurde, ist bekannt. Es müssen auch Gitarren vorhanden gewesen sein. Durch die vielen Auslandsbeziehungen via Söldner-Tradition, Handel und Handwerk (man denke an die Bündner Zuckerbäcker) wurden modische Neuerungen wie eben die 6- saitige Gitarre ziemlich schnell in die Schweiz getragen. Christoph Jäggin schrieb mir hierzu: „In Zürich ist die [6-saitige] Gitarre bereits früher [vor den 1803 / 1804 datierten Samadner Planta-Quellen] sicher nachzuweisen und typisch: Der früheste Schweizer Gitarrennotendruck von Nägeli (zw. 1797 und 1803), den ich bis heute entdecken konnte, enthält Lieder eines italienischen Kosmopoliten und ist in Zusammenarbeit mit Naderman, Paris, entstanden. Ist das kursierende aufgeklärte Gedankengut jener Zeit, zu dessen Attributen ich die Gitarre zähle, nicht auch so etwas, wie ein Zeichen einer frühen Globalisierung? Nationalismen sind da bedeutungslos. Volksmusik, wie sie Herder versteht, war nicht Musik einer bestimmten Ethnie, sondern Werk des gesamten Volkes über Landesgrenzen hinaus, freilich mit grossen regionalen Unterschieden, und zum Volk gehörten alle, vom Fürsten bis zum Bauer, wie es G.W. Fink einmal betonte. So ist es wichtig die Gitarre keiner bestimmten sozialen Gruppe, etwas nur jener, die sich in den grossen Konzertsälen der Metropolen vergnügten oder dort ihren Kampf ausfochten, zuzuordnen. Da aber diese Schicht die Musikgeschichtsschreibung über alle Massen bis heute dominiert, bleibt uns noch so viel zu entdecken und zu lernen.“
Gitarren wurden wohl grösstenteils importiert. Bekannt sind die Importe aus Italien (Fabricatore und andere), aus Frankreich (Mirecourt / Paris), aus Wien (Stauffer und andere) und später aus London (Panormo, Roudhloff u.a.) sowie Markneukirchen und Umgebung (vor allem nach 1850).
Stilistisch unterscheiden sich die Gitarren durchaus, so dass man Gitarren des frühen 19. Jahrhunderts meist leicht einer lokalen Tradition zuweisen kann. Aber die vorliegende Gitarre weist eine verwirrende Mischung von Bautraditionen auf:
Die Verzierungen um den Steg weisen in Richtung Italien – aber es gibt ähnliche Verzierungen aus Wien und Deutschland, besonders in Thüringen und Sachsen: Ränder, Randeinlagen und Stege nach italienischem Vorbild kamen auch ohne den Umweg über Wien in den deutschsprachigen Raum.
Der Steg entspricht italienischen Vorbildern.
Die Konstruktion des Halses ist französisch: Der Hals wurde stumpf und
ohne irgendeine Sicherung auf die Zargen geleimt, welche ihrerseits auf den inneren Halsklotz geleimt sind. Dieser ziemlich massive Klotz hat stehendes Jahr und einen einzigartigen Querschnitt.
Das Griffbrett ist auf demselben Niveau wie die Decke, sodass das Griffbrett bis zur Rosette in die Decke eingesetzt ist und mit einem Gegenstück unter der Decke gehalten wird. Diese Unterlage ist ein aussergewöhnlich dickes Stück Fichte, dessen Jahrringe in dieselbe Richtung laufen wie das Deckenholz und das am oberen Deckenbalken endet, der knapp über dem Schallloch gesetzt ist. Fabricatore führt dieses Gegenstück deutlich feiner aus und fertigt es aus zwei gespiegelten Gegenstücken. Die Art in der Büttiker-Gitarre ist also kaum italienisch.
Die Reifchen sind massiv und nicht eingeschnitten. Also liegt auch keine spanische Tradition vor.
Die Bebalkung mit stehendem Jahr von Boden (3 Balken) und Decke (3 Balken) weist eher nicht auf Frankreich hin, weil dort normalerweise der dritte Deckenbalken schräggestellt ist, sodass er auf der Diskant-Seite nahe der breitesten Stelle an die Zarge stösst und auf der Bass-Seite näher bei der Taille liegt – die Bebalkung ist oft um einen weiteren parallelen Balken unter dem Steg ergänzt. Von der Verbalkung her ist es also kein französischer Stil.
Die Verbindung zwischen Hals und Wirbelkasten ist deutsch.
Insgesamt gibt es somit kein Baumerkmal, das diese Gitarre ganz eindeutig in einer Bautradition verortet. Vielmehr handelt es sich um ein Sammelsurium verschiedener Merkmale aus verschiedenen Richtungen. Ob dies typisch war für Schweizer Gitarrenmacher?
... Ich danke Christof Hanusch, Verfasser des Buches „Weissgerber - Gitarren von Richard Jacob“, Markneukirchen 2011, sowie Christoph Jäggin (http://www. christophjaeggin.net/ch-gitarre.htm) für viel wertvolle Hinweise.