Spielen nach Gehör - Handbuch für den Instrumentalunterricht von Samira Holer

EGTA-Leseempfehlung 

Im Rahmen meiner Masterarbeit in Instrumentalpädagogik an der HSLU Musik habe ich ein Handbuch für Ear-Playing (nach Gehör spielen) erstellt. Hier zeige ich euch einen kleinen Ausschnitt aus dem Handbuch. Es soll Lehrpersonen helfen, Ear-Playing in ihren Unterricht zu integrieren, auch wenn sie sich auf diesem Gebiet noch nicht sicher fühlen oder gar keine Erfahrung mit Ear-Playing gemacht haben. Das Handbuch ist nicht dafür gemacht, Ear-Playing-Profis heranzuziehen, sondern soll den Lernenden die Möglichkeit geben, sich sowohl auf ihre Augen zum Notenlesen als auch auf ihr Gehör verlassen zu können. Das Handbuch dient dabei als Ideensammlung, um sich im Unterricht niederschwellig an das Ear-Playing heranzutasten. Es ist keine strikte Methodik, die genauso befolgt werden soll. 

Was bedeutet Ear-Playing? 

In diesem Handbuch bedeutet Ear-Playing nicht nur, ein Stück nach Gehör nachspielen zu können, sondern allgemein in der Lage zu sein, die eigenen Ohren zum Musizieren zu nutzen. Das heisst, Improvisation, Komposition, Imitation, zuhören und sogar auswendig spielen sind alles wichtige Aspekte in einem gehörorientierten Unterricht. 

Warum Ear-Playing? 

An dieser Stelle möchte ich sagen, dass ich Noten in keinem Fall aus dem Instrumentalunterricht vertreiben möchte! Es gibt viele Gründe, weshalb das Notenlesen und nach Noten spielen können wichtig ist, jedoch sollte man nicht aufgrund des Notenlesens einen grossen und wichtigen Aspekt des Musizierens ausklammern. Oft wird auch von «Sound before Symbol» (Klang vor Symbol bzw. Klang vor Notenbild) gesprochen: Es meint, dass das Symbol (Notenbild) nicht komplett ausgeklammert wird, sondern man lediglich zuerst Sound (Musik) macht, bevor man liest. Ich möchte Lehrpersonen dazu ermutigen, neue Themen nicht direkt mit Noten einzuführen, sondern eine mehr gehörbasierte Herangehensweise zu wählen. Dies könnte zum Beispiel bedeuten, einen neuen Ton zuerst in eine Improvisation zu integrieren, bevor dessen Notenbild angeschaut wird oder ein Stück oder Teile davon zunächst mit der Modellmethode (siehe unten) beizubringen und erst dann die Noten zu lesen. So wissen die Lernenden schon, wie es gespielt wird und klingen soll, die Noten werden eher zu einer Erinnerungshilfe als zu einer Anleitung. Wenn man ausschliesslich nach Noten unterrichtet, können folgende Nachteile entstehen: 

  • Der intuitive Zugang zur Musik bildet sich zurück. 

  • Lernende, welche Mühe mit dem Notenlesen haben, schliessen wir vom Unterricht aus. 

  • Das Bestehen auf Notenlesen kann zu Abbrüchen im Instrumentalunterricht führen. 

  • Musik wird eher nur in einzelnen Tönen und nicht in einem grösseren Zusammenhang wahrgenommen. 

Die Vorteile von Ear-Playing für die SuS sind hingegen: 

  • Sie verbessern ihre Blattspielfähigkeiten. 

  • Es fördert ihr kritisches, kreatives und selbstbestimmtes Lernen. 

  • Sie hören genauer hin und achten besser auf Dynamik und Phrasierung. 

  • Es verbessert ihre Auftrittskompetenz. 

Vorübungen für das Ear-Playing 

Voraussetzung für das Spielen nach Gehör im Unterricht sind das Beherrschen der wichtigsten Grundlagen seitens des Lernenden. Diese sind bei Bedarf beizubringen und zu üben: 

  • Lernende müssen erkennen, ob zwei Töne gleich oder unterschiedlich sind. 

  • Sie müssen erkennen, ob eine Melodie auf- oder absteigend ist 

  • und später auch, ob es ein Tonschritt oder Tonsprung ist. 

Beispiel für eine Übung zur Erkennung von Tonhöhen: «dirigieren» 

LP und Schüler*in stehen sich gegenüber. Die LP singt eine Tonleiter, ein Glissando oder verschiedene Intervalle vor und zeigt mit ihrer Hand die Tonhöhen an. Die Lernenden singen und "dirigieren" mit. Gerade mit jüngeren Kindern ist es lustig, hier zu übertreiben: Ganz hohe Töne «quietschen» und sich dabei so gross machen wie es nur geht oder ganz tiefe Töne «brummeln» und dabei den Boden berühren.  

Variationen: 

  • Das Kind darf selbst eine Melodie erfinden, singen und mit der Hand anzeigen, die LP macht mit. 

  • Das Kind darf die LP dirigieren: Es macht nur die Handzeichen, die LP singt. 

  • Die LP singt ohne Handzeichen und das Kind macht nur mit den Handzeichen nach, was es hört. 

  • Die LP spielt auf dem Instrument und das Kind zeigt mit Handzeichen, was die LP spielt. 

  • Das Kind darf die LP dirigieren, diese spielt auf dem Instrument. Anschliessend gibt es einen Rollentausch. 

Mehr Übungen dazu findet ihr im Handbuch ab Seite 5. 

Erste Ear-Playing Erfahrungen mit dem Instrument: 

  • Improvisation zur Begleitung: frei oder mit vorgegebenen Tönen 

  • Echo-Spiele: A spielt vor, B spielt nach, anschliessend wechseln. Kann entweder mit einer Melodie oder nur mit einem Rhythmus gemacht werden. 

  • Frage - Antwort: A spielt Motiv, B spielt etwas Gegensätzliches, z.B.: aufsteigende Linie – absteigende Linie, legato – staccato, leise – laut, ganz hoch – ganz tief usw. 

Die Modellmethode: Die Lehrperson bringt ein Stück ohne Noten bei, lehrt nur durch Vor- und Nachspielen. Diese Methode kann ich vor allem auch Lehrpersonen empfehlen, die selbst noch unsicher im Unterrichten nach Gehör sind. Am besten funktioniert sie mit Kinderliedern, die die Lernenden schon sehr gut kennen. Sie eignet sich aber auch beim Erlernen unbekannter Stücke. Es ist eine gute Einstiegsmethode, weil das Kind dabei sehen kann, wie etwas gespielt wird und sich noch nicht ausschliesslich auf sein Gehör verlassen muss. Die Lehrperson kann im Notfall auch etwas erklären, deutlich zeigen, eine bestimmte Stelle oft wiederholen und üben. Gleichzeitig ermöglicht diese Methode das Erleben der Musik als Ganzes anstatt in einzelnen Tönen und fördert die Fähigkeit, sich eine Melodie zu merken. (Fürs Layout: diese Methode möchte ich gerne speziell hervorheben, geht das irgendwie?) 

Für Fortgeschrittene  

Die Lehrperson spielt eine Akkordfolge (2 – 4 Akkorde), die Lernenden spielen passende Basstöne dazu. Später sollten sie auch die ganzen Akkorde heraushören. 

  • Eine Melodie von einer Aufnahme nachspielen lassen. Die Lernenden kann man auch selbst die Aufnahme starten und stoppen lassen.  

Mehr dazu im Handbuch auf Seite 11 

Allgemeine didaktische Tipps 

  • Möglichst viel singen! 

  • Vom Bekannten zum Unbekannten: zuerst bekannte Lieder und Stücke mit schon bekannten Tönen spielen. 

  • Aufsteigende Melodien und Melodien in Dur sind einfacher als absteigende Melodien und solche in Moll. 

  • Vor allem, wenn für dich selbst Ear-Playing neu ist: Nicht alle Übungen aufs Mal anwenden: besser eine auswählen und ausprobieren. 

  • Als LP selbst Ear-Playing üben. 

Das ganze Handbuch mit noch mehr Themen und praktischen Übungen findet ihr hier: das ganze Handbuch

Der theoretische Teil der Arbeit inkl. Studien kann bei Samira Holer unter samira.holer@egta.ch angefragt werden. 

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